Wer die Chancen in einer Kooperation erkennt und zu einer gemeinsamen Vision kommt, ist meist auch schnell bereit, das Projekt anzupacken und zu investieren. Die Gefahr ist, dass am Ende trotz hohem Einsatz – persönlich wie finanziell – nichts herauskommt. Dabei lebt jede Kooperation von schnellen Erfolgserlebnissen, also einer Wertschöpfung. Nichts fördert die Motivation und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit stärker. Deshalb ist es in einer Kooperation nicht nur wichtig, den Weg zum Ziel zu planen, sondern frühzeitig und kontinuierlich werthaltige Zwischenergebnisse zu erzielen.
Vor einigen Jahren traf ich eine Kollegin. Wir saßen bei einem Glas Wein zusammen und hatten plötzlich eine sensationelle Idee: Wir wollten unsere Expertisen zusammenzubringen, daraus ein Konzept entwickeln und gemeinsam neuartige und zukunftsfähige Trainings halten. Kurz darauf schlossen wir uns für zwei Tage in einem Hotelzimmer ein und entwickelten Ideen zu unserem Geschäftskonzept. Wir gründeten eine gemeinsame Firma und arbeiteten am Seminardesign, an Übungen und der Frage, wie wir unsere Teilnehmer über das Seminar hinaus mit einer Online-Plattform und Apps unterstützen konnten. Ein professionelles Fotoshooting lieferte die Bilder für die Webseite. Im Tagesgeschäft stark ausgelastet, dauerte es immer länger, bis wir den nächsten gemeinsamen Termin finden konnten. Und auch die Liste an Aufgaben und Investitionsentscheidungen wurde immer länger. Nach und nach verdichtete sich die Erkenntnis, dass es so nicht funktionieren wird. Vier Jahre hatten wir immer wieder an unserem Konzept gearbeitet, doch inzwischen hatte sich der Markt komplett verändert. Was am Anfang revolutionär schien, hatten längst andere aufgegriffen. Mit weit mehr Konsequenz und Arbeitseinsatz, als wir jemals hätten aufbringen können. Schließlich lief unsere bisherige Arbeit weiter. Einige Monate später versuchten wir, das Konzept noch einmal zu überarbeiten. Die Demotivation war spürbar. Wir hatten veraltete Bilder, eine halbfertige Webseite, ein professionelles Video, das wir nur in diesem Konzept einsetzen konnten, ein Trainingsdesign, das sich in der Praxis nur mit extrem großen Aufwand umsetzen lassen würde, eine Firma, deren Existenz uns laufend Geld kostete und die Erkenntnis, dass wir eigentlich gar keine Zeitkapazität hatten, das Projekt in dieser Größenordnung umzusetzen. Ein weiteres Jahr später entschlossen wir uns, die Firma aufzulösen. Ungewöhnlich? Eher nicht. Gerade spontane und kreative Typen sind davon bedroht, mit Begeisterung in eine Kooperation zu springen und irgendwann ergebnislos, mit Verlusten und enttäuscht wieder auszusteigen. Was hatten wir falsch gemacht?
In logischen Schritten zum Endergebnis
Normalerweise planen wir vorwärts, auf das Endergebnis hin. Jeder Schritt soll logisch dazu beitragen, dass dieses Ziel zum vorgesehenen Zeitpunkt erreicht wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass viele Arbeiten für sich alleine kein individuell nutzbares Ergebnis liefern, aber im Hinblick auf das Gesamtziel absolut sinnvoll sind. Nehmen wir das Beispiel eines Hausbaus. Die Errichtung eines Hauses besteht aus vielen grundlegenden Arbeiten. Das Fundament betonieren, die Wände und das Dach errichten, Wasser-, Abwasser- und Elektroanschlüsse legen, den Estrich und die Installationen einbauen, die Wände verputzen, fliesen, Bodenbeläge einbringen, tapezieren, malern etc. Die Aufgaben werden so geplant, dass die einzelnen Gewerke sinnvoll nacheinander ausgeführt werden. Irgendwann ist das Haus dann bezugsfertig – wenn nichts dazwischenkommt.
Unwägbarkeiten bei komplexen Projekten
Wer jemals mit einem Hausbau oder Umbau zu tun hatte, weiß, dass sehr viel dazwischenkommen kann. Jede Abweichung vom Plan hat Auswirkungen auf die nachfolgenden Arbeiten und führt zu Verzögerungen. Wer hat nicht schon von Freunden gehört, die ihre bisherige Wohnung bereits gekündigt haben, im Vertrauen darauf, dass das Haus rechtzeitig fertig sein wird. Dann steht plötzlich der Termin des Auszugs vor der Tür, im neuen Haus ist aber noch kein Raum bewohnbar. Dabei wäre der Hausbau doch ein vermeintlich überschaubares Projekt. Was können wir tun, um eine kontinuierliche Wertschöpfung und die damit verbundenen Erfolgserlebnisse zu schaffen? Was den Hausbau angeht, können wir uns ein Beispiel an südlichen Ländern nehmen. Menschen wohnen in scheinbar halbfertigen Häusern. Aus einer Zwischendecke steht die Betonarmierung heraus, das Haus ist nicht verputzt und manche Zimmer haben keine Fenster. Aber doch gibt es in einem Bereich genau die Ausstattung, die es ermöglicht, bereits darin zu wohnen. Es wurde ein Wert geschaffen, obwohl das Endziel noch nicht erreicht ist. Bei einem Haus würde die Wertschöpfung wohl darin bestehen, eine funktionierende Toilette zu haben, dann ein Badezimmer mit Warmwasser, ein Schlafzimmer, ein heizbares Wohnzimmer und eine Küche.
Rückwärts planen schafft frühe Wertschöpfung
Um eine kontinuierlichen Wertschöpfung zu schaffen, planen wir vom Endergebnis wieder rückwärts. Mit dem Ziel und der Vision haben wir definiert, welcher Wert am Ende geschaffen werden soll. Jetzt lautet die Frage, welche Zwischenschritte einen Teil dieses Werts bereits früher liefern können.
Was meine Kollegin und ich uns von unserem gemeinsamen Trainingsprojekt erhofften, waren neben dem finanziellen Ertrag zum Beispiel Erfahrungsaustausch, mehr Sichtbarkeit nach außen und Kosteneinsparungen, indem wir größere Volumen teilen. Statt bei der Fotosession nur gemeinsame Bilder für das neue Konzept aufnehmen zu lassen, hätten wir auch individuelle Bilder machen lassen können, die wir sofort nutzen hätten können. Statt uns ausschließlich außerhalb unserer Arbeit zu treffen und über das zu sprechen, was wir tun können, hätten wir gegenseitig unsere Seminare besuchen, voneinander lernen und uns gegenseitig Feedback geben können. Anstatt viele große Schritte für das hochwertige Endergebnis zu planen, hätten wir ein erstes einfaches Produkt, wie zum Beispiel ein Webinar entwickeln können. Das hätte uns die Möglichkeit gegeben, uns auch bei der Arbeit besser kennenzulernen und unsere Idee frühzeitig einem Test zu unterziehen.
Kooperative Zusammenarbeit braucht Erfolgserlebnisse in Form von greifbaren Ergebnissen und zwar frühzeitig und kontinuierlich. Die Zielvereinbarung und die Vision beschäftigen sich mit dem Endergebnis. Aber welche Wertschöpfung kann zwischendurch stattfinden? Was können wir so schnell wie möglich realisieren, das den Beteiligten einen substanziellen Nutzen bietet? So, dass wir sagen können, es hat sich doch gelohnt, auch wenn wir das Ziel nicht erreichen.
Über die Autorin:
Silodenken macht Menschen müde. Als Gemeindekämmerin hat Ulrike Stahl das selbst erlebt. Ihren Erweckungsmoment hatte sie bei den Vereinten Nationen, wo Kooperation und Kollaboration weltweit Frieden, Recht und Wohlstand fördern. Seit über 15 Jahren berät sie Unternehmen, Führungskräfte und Entrepreneure, wie sie den Erfolgsfaktor WIR für sich nutzen und erfolgreich kooperieren. Als Professional Speaker inspiriert sie mit ihrem Credo: „Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ. So geht WIRTSCHAFT!“