
Managementsysteme wie das „Objectives and Key Results“ (OKR) und das „Management by Objectives“ (MbO) sind nur Hilfsmittel. Entscheidend ist, wie sie im Betriebsalltag genutzt werden. Das gilt insbesondere im schnelllebigen Vertrieb.
„Wir wollen unseren Umsatz um 10 Prozent erhöhen?“ „Wir möchten unsere Gewinnmarge um 20 Prozent steigern?“ Im Vertrieb werden die Mitarbeiter traditionell stark mit quantitativen Zielen geführt. Auch ihre Entlohnung orientiert sich meist stark am Erreichen solcher Ziele. Und werden die Umsatz- und Ertragsziele nicht erreicht? Dann kann sich der Verkaufs- oder Vertriebsleiter meist eine neue Stelle suchen – auch weil Gewinn- und Umsatzeinbußen oft als eine Gefährdung der Existenz des Unternehmens eingestuft werden.
Dies gilt insbesondere in Zeiten, in denen die Konjunktur lahmt oder die Verantwortlichen in den Unternehmen wie aktuell unter anderem aufgrund der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft spüren: In unseren Märkten verändert sich vieles. In ihnen greifen die Unternehmen gerne nach jedem Strohhalm, der ihnen verspricht: Er führt uns durch die raue See.
Entsprechend positiv war die Resonanz auf eine angeblich neue, revolutionäre Managementmethode namens „Objectives and Key Results“ aus dem aktuellen Management-Mekka Silicon Valley. Sie hält unter dem Kürzel OKR seit drei, vier Jahren auch Einzug im deutschsprachigen Raum. Die OKR-Methode nutzt unter anderem der Internet-Gigant Google seit 20 Jahren zum Erreichen seiner (Wachstums-)Ziele.
Bei dieser Methode zum Umsetzen der Unternehmensstrategie erfolgt die Zieldefinition unter Einbezug der Mitarbeiter nicht im Jahres-Rhythmus, sondern in der Regel in Drei-Monats-Intervallen. Dadurch soll die Agilität der Unternehmen steigen.
Die OKR-Historie und Philosophie
Doch ist die OKR-Methode wirklich eine „neue Management-Wunderwaffe“? Nein! Sie existiert seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In ihnen entwickelte Andy Grove, ein ehemaliger Intel-Manager, auf der Basis des „Management by Objectives“ (bzw. „Führen mit Zielen“) ein Konzept zum Umsetzen solch ambitionierter Unternehmensstrategien wie „Wir wollen der Marktführer weltweit werden“.
Zentrale Anforderungen an dieses System waren für ihn:
- Es muss einfach und flexibel sein und
- die Mitarbeiter müssen in die Strategieentwicklung und -umsetzung einbezogen werden.
Als zentralen Schlüssel hierzu erachtete Grove die beiden simplen Fragen, die jeder beantworten soll:
- „Wo will ich hin?“ (Objectives) und
- „Woran messe ich, ob ich mein Ziel erreicht habe?“ (Key Results).
Der OKR-Planungsprozess
Die Arbeit mit der OKR-Methode funktioniert wie folgt: Ausgehend von der Strategie legt das Top-Management eines Unternehmen oder Unternehmensbereichs wie des Vertriebs fünf Ziele (Objectives) zum Beispiel für das kommende Quartal fest. Diese werden durch maximal vier Messgrößen (Key Results) operationalisiert, um den Fortschritt bis Ende des Quartals zu messen.
Dabei beschreiben die „Objectives“ das „Was“, das zu erreichen ist. Sie geben die Richtung vor. Die „Key Results“ hingegen beschreiben, „Wie“ das jeweilige Quartalsziel erreicht werden soll. Diese Beschreibung erfolgt nicht in Form von Aktivitäten, sondern messbaren Schlüsselergebnissen, die Auskunft über den Fortschritt geben und mit denen am Quartalsende reflektiert werden kann: Wurden die Key Results erreicht? Diese sind faktisch Teilziele auf dem Weg zum Erreichen des übergeordneten Ziels, also der Objectives.
Kurzzyklische Planung hat Vor- und Nachteile
Die kurzzyklische Planung hat Vor- und Nachteile. Manche Unternehmen bzw. deren Vertriebsbereiche lassen sich nur schwer mit Quartalszielen führen. Das gilt zum Beispiel für die Maschinen- und Anlagenbauer, deren Geschäft meist ein Projektgeschäft ist. Dasselbe gilt für solche strategischen bzw. qualitativen Ziele wie:
- „Wir wollen neue Märkte erschließen.“ Oder:
- „Wir wollen als Investitionsgüterhersteller künftig ein Drittel unserer Umsätze mit Serviceleistungen erzielen.“
Solche Ziele bzw. „objectives“ sind in der Regel nicht binnen drei Monaten erreichbar. Die Erfahrung zeigt jedoch: Je tiefer man in die operative Alltagsarbeit im Vertrieb einer Organisation eindringt, umso leichter lassen sich Ziele mit einem kurzzyklischen Charakter formulieren. Deshalb entfaltet die OKR-Methode insbesondere ihre Vorzüge bei der Strategieumsetzung auf der operativen Ebene im Vertrieb.
Zielabstimmung erfolgt top-down und bottom-up
Sind auf der obersten Ebene die Objectives und die Key Results definiert, werden diese auf die jeweils nächste Ebene heruntergebrochen. Dies geschieht bei der OKR-Methode nicht in einem reinen Top-down-Verfahren. Vielmehr werden die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter in den Prozess eingebunden. Das bedeutet: Die jeweils nächste Ebene kann neben den von oben kommenden Zielen auch Ziele definieren, von denen sie überzeugt ist, dass diese dem Erreichen des übergeordneten Ziels dienen. Dieser Prozess mündet in einer Art „Verhandlung“ zwischen der oberen und unteren Ebene, in der ein Agreement über die zum Beispiel im kommenden Quartal zu erreichenden Objectives und Key Results erzielt wird.
Beim Einführen der OKR-Methode sollte das Management eines Unternehmens unter anderem folgende Faktoren berücksichtigen:
- Was ist das generelle Ziel der OKR-Einführung in unserer Organisation bzw. in unserem Vertrieb?
- Welche weiteren Systeme zur Strategieumsetzung und Zielvereinbarung gibt es bereits?
- Welchen Mix aus Top-down und Bottom-up wählen wir bei der Zielabstimmung? Und:
- Wie messen wir den Erfolg der OKR-Einführung?
Die Kompetenzentwicklung nicht vergessen
Beim Einführen der OKR-Methode sollte jedoch keinesfalls der Personal- bzw. Kompetenzentwicklungsgedanke vergessen werden, der mit der OKR-Methode verbunden ist. Er war auch ein integraler Bestandteil des klassischen „Management by Objectives“ (MbO) beziehungsweise „Führen mit Zielen“. Im Betriebsalltag wurde er jedoch häufig vergessen. Deshalb verkamen das „Führen mit Zielen“ und mit ihm die sogenannten Zielvereinbarungsgespräche – in den Augen der Mitarbeiter – oft zu einem reinen Kontroll- bzw. Controlling-Instrument.
Diese Gefahr besteht auch bei der OKR-Methode, sofern ihr Einsatz sich darauf beschränkt, die „objectives“ und „key results“ mit den Mitarbeitern zu vereinbaren und deren Erreichen zu kontrollieren. Dann verändert sich in der Organisation nichts, denn (Kenn-)Zahlen dokumentieren nur die Erfolge der Vergangenheit. Aus ihnen geht zwar hervor, ob ein Ziel – oder „objective“ bzw. „key result“ – erreicht wurde, sie zeigen aber nicht, was getan werden sollte, um es zu erreichen.
Die Führung im Vertrieb muss sich ändern
Um dies zu erkennen, müssen die Verkaufs- bzw. Vertriebsleiter sich mit den Prozessen befassen, die zu den Zahlen, also Ergebnissen, führen. Ähnlich wie ein Fußball-Trainer – zum Beispiel der Trainer des Champions-League-Siegers 2019 und voraussichtlichen englischen Meisters 2020 FC Liverpool Jürgen Klopp.
Er steuert den Erfolg seiner „Mannen“ nicht, indem er ihnen vor der Saison vorgibt: „Ihr müsst jedes Spiel gewinnen und in ihm mindestens drei Tore schießen.“ Er sitzt vielmehr bei jedem Spiel auf der Trainerbank. Und dort schaut er nicht auf die Anzeigetafel, wo der aktuelle Spielstand steht. Er blickt vielmehr aufs Spielfeld, um zu erkennen, ob seine Spieler zum Beispiel genügend Einsatz zeigen, ein gutes Stellungsspiel praktizieren oder ausreichend über die Flügel spielen, denn: Nur dann kann er ihnen bei einem Rückstand Tipps geben, wie sie das Spiel noch gewinnen können und so den kurzfristigen Erfolg beeinflussen.
Entsprechendes gilt für den mittel- und langfristigen Erfolg. Auch um ihn zu beeinflussen, muss ein Trainer wie Jürgen Klopp seine „Mannen“ beim Spielen beobachten. Nur so sieht und erfährt er, wer wie viele Zweikämpfe gewinnt und wie viele Flanken ankommen. Diese statistischen Daten, also Kennzahlen, allein nützen dem Trainer aber wenig. Denn wie zum Beispiel die Spieler Roberto Firmino und Mohamed Salah die Zahl der gewonnenen Zweikämpfe steigern können, erfährt Klopp erst, wenn er sein Wissen, dass zu wenig Zweikämpfe gewonnen wurden, mit seinen Beobachtungen beim Spiel vergleicht. Erst dann wird klar, ob ein Spieler so viele Zweikämpfe verlor, weil er zum Beispiel
- zu langsam ist oder
- ein schlechtes Stellungsspiel praktiziert oder
- ihm der nötige Einsatzwille fehlt.
Folglich erkennt der Trainer auch erst dann, was getan werden sollte, damit künftig der gewünschte Erfolg eintritt.
Der Mindset, nicht das Management-Tool entscheidet
Ebenso ist es im Verkaufsbereich. Ein Verkaufs- oder Vertriebsleiter, der nur die Zahlen „studiert“, kann den Erfolg seiner „Mannen“ nicht beeinflussen. Nur indem er sich mit ihrer Arbeitsweise befasst, kann er ihre Leistung steigern. Und nur indem er sich mit den Prozessen befasst, die zum Erfolg führen, kann er, sofern die Gefahr besteht, dass ein Mitarbeiter oder Team das Ziel verfehlt, korrigierend und unterstützend eingreifen, so dass das Ziel doch noch erreicht wird.
Dieses Selbstverständnis und Bewusstsein und die hierfür erforderliche Kompetenz gilt es den Führungskräften im Vertrieb primär zu vermitteln, wenn Unternehmen agiler im Markt agieren und flexibler auf Marktveränderungen reagieren möchten. Ob sie dann zur Vertriebsführung im Betriebsalltag das Managementsystem „Management by objectives“ (MbO) oder „Objectives and Key Results“ (OKR) oder einen Mix aus beiden nutzen, ist hingegen von nachgeordneter Bedeutung. Dies sollten die Unternehmen nicht dogmatisch, sondern pragmatisch aufgrund ihres Geschäftsfelds und ihrer Historie und Kultur entscheiden.
Über den Autor:
Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Höhr-Grenzhausen, das unter anderem Führungskräften im Vertrieb die Kompetenz vermittelt, sie in der von rascher Veränderung geprägten VUKA-Welt brauchen.