Angst ist ein schlechter Ratgeber – aber offenbar immer noch besser, als komplett auf jeden Beistand verzichten zu müssen. Genauso agieren jedenfalls viele Unternehmen angesichts der aktuellen Krise. Dabei gibt es nicht nur viele gute Gründe aus dieser Abwärtsspirale schlechter Ratschläge auszubrechen. Sondern es existieren auch eine Reihe probater Werkzeuge, um die Zukunft des Unternehmens und das eigene unternehmerische Handeln nicht der Angst zu überlassen. Vor allem mit Blick auf die Zeit „nach Corona“, in der es umso wichtiger wird, den WIP (Work in Process) nicht gleich zu hoch zu fahren.
Wie treffen wir Entscheidungen unter Stress? Es dominieren unbewusste, automatisch ablaufende Prozesse. Eine Situation aus mehreren Perspektiven durchdenken, mögliche Handlungsfolgen abwägen: bei größerem Handlungsdruck sind rationale Entscheidungen eher Fehlanzeige. Stattdessen: Angst, Flucht, Abwehr, Verteidigung – man kann in diesem Modus zwar blitzschnell reagieren, tut häufig genug jedoch genau das Falsche.
Wird der Handlungsdruck größer, übernehmen oft nicht die besten, sondern die erstbesten „Systeme“
Erwartet ein Unternehmen, dass bald deutlich weniger Aufträge kommen werden oder wird es konkret damit konfrontiert, dass sich die Auftragslage bereits deutlich verschlechtert hat: Haben die Entscheider eines Unternehmens immer noch genügend „gute“ Handlungsweisen zur Verfügung, um die Organisation jetzt und in Zukunft zu sichern? Trifft ein Unternehmen suboptimale Entscheidungen, dann kann es sein, dass es damit in „guten Zeiten“ noch halbwegs gut durchkommt. Tritt eine wirtschaftlich schwierige Lage ein, funktioniert das spätestens jetzt nicht mehr. Setzt ein Unternehmen weiterhin Dinge um, die heute notwendig erscheinen und weil schlichtweg unter Stress und aus Angst keine anderen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dann trifft dies das Unternehmen in harten Zeiten früher oder später mit voller Wucht.
Nicht eine mögliche Krise, sondern der Handlungsdruck macht den Unterschied
Angst vor einem Konjunktureinbruch erhöht bei Unternehmen den ohnehin stets hohen Handlungsdruck nochmals. Doch jetzt extreme Ratschläge zu erteilen, was ausschließlich in einer akuten Krise erfolgreicher oder das Beste ist, diese Unterscheidungen erscheinen häufig willkürlich gesetzt. Eine Krisensituation macht es schlichtweg dringlicher zu handeln – man muss schnell Entscheidungen umsetzen, die allerdings zuvor bewusst überprüft wurden. Nur allein diese Handlungen stärken ein Unternehmen allerdings nicht in Krisenzeiten. Deshalb: Ob ein Unternehmen besser als andere durch schwieriges Fahrwasser navigieren und gegebenenfalls daraus sogar stärker als zuvor hervorgehen kann, die Weichen dafür sollte ein Unternehmen bereits zu anderen Zeiten stellen. Unternehmen, die vor einer Rezession bedeutende Veränderungsinitiativen erfolgreich umgesetzt haben, können davon in Krisenzeiten profitieren und auch während einer Rezession mehr Chancen als andere nutzen.
Sechs Vorgehensweisen für Unternehmen, die auch in harten Zeiten Sicherheit erzeugen
Irrationale und „etablierte“ Verhaltensweisen haben gerade in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Ein Beispiel? Kosteneinsparungen, die über das Ziel hinausschießen und damit die Zukunft des Unternehmens gefährden. Bedeutende Veränderungsinitiativen sollten Unternehmen nicht erst in einer akuten Rezession starten – doch mit dem richtigen Fokus kann auch dann immer noch viel erreicht werden.
Den Work in Process-(WIP)Teufelskreis durchbrechen
Damit sich alle endlich auf das Wesentliche konzentrieren können. In den meisten Unternehmen ist der WIP, also die Arbeitslast, permanent zu hoch, Projekte behindern sich gegenseitig. So wird von Mitarbeitern eingefordert, das bis zu 10fache(!) mehr an Projekten zu erledigen, als optimal bearbeitet werden kann. Im ständigen Bemühen, alles gleichzeitig zu erledigen, leiden nicht nur Qualität und Arbeitszufriedenheit. Man nimmt damit auch in Kauf, dass Verspätungen zur Norm werden, sich alle verfügbaren Ressourcen im Multitasking-Modus aufreiben, die Fehleranfälligkeit nach oben schnellt und das Top-Management viel zu viel Zeit in die Lösung andauernder Konflikte aus dem WIP-Teufelskreis investieren muss. Der Ausweg aus diesem „zu viel Arbeit“ liegt auf der Hand: die Arbeitslast muss reduziert, die Anzahl aktiver Projekte gesenkt werden. Damit haben Unternehmen, die den WIP dauerhaft reduzieren, gerade auch in Krisenzeiten einige überzeugende Verkaufsargumente mehr als andere: Die Durchlaufzeiten aktiver Projekte verkürzen sich deutlich. Zugleich erhöhen sich Zuverlässigkeit, Verspätungen nehmen ab, es können durchschnittlich mehr Projekte im Jahr fertiggestellt werden als bisher.
Das Unternehmen konsequent durchsatzorientiert ausrichten
Und damit Investitionen zurückstellen und/oder streichen, mit Ausnahme der Investitionen, die dem Unternehmen einen schnellen Return on Investment bringen.
In der klassischen kostenorientierte Denkweise fokussiert sich jeder Bereich im Unternehmen darauf, lokal Kosten zu sparen – unter der Annahme: Eine lokale Verbesserung der Kosten führe automatisch zu einer Verbesserung für das gesamte Unternehmen. Allerdings werden in der kostenorientierten Denkweise auch Investitionen „eingespart“, die eigentlich jetzt notwendig sind, um morgen signifikant den Durchsatz des Unternehmens zu steigern. Was die kostenorientierte Denkweise außen vor lässt, ist zentraler Punkt beim durchsatzorientierten Handeln: sich auf ein GEMEINSAMES Unternehmensziel auszurichten und dadurch den langfristigen Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Eine eindeutige, durchsatzorientierte Ausrichtung ist der Weg, um ab sofort die Investitionsentscheidungen planvoll auf Return on Investment auszurichten. Haben Unternehmen bereits vor einer Rezession diesen Shift auf Durchsatzorientierung vollzogen, profitieren sie davon natürlich auch in Krisenzeiten. Diese Unternehmen haben ihre Liquidität erhöht, denn sie haben ausschließlich Entscheidungen für Investitionen getroffen, die sich innerhalb kürzester Zeit refinanzieren. Während andere Unternehmen eine Vielzahl nicht durchsatzorientierter Investitionen getätigt haben – und damit auf Durchsatzsteigerung (in der Zukunft) verzichten.
Bevorzugter Lieferant werden
Und damit (auch in Krisenzeiten) Marktanteile dazugewinnen.
Viele Unternehmen machen Kompromisse bei den Leistungen, die sie ihren Kunden anbieten. Statt deren Erwartungen in bestimmten Bereichen zu übertreffen, bleiben sie ein Lieferant unter vielen. Mit der Konsequenz, dass sich die Angebote, außer durch den Preis, nicht von denen der Konkurrenz unterscheiden können. Höhere Verfügbarkeiten, höhere Zuverlässigkeit, kürzere Lieferzeiten als bisher und/oder als marktüblich: All das sind entscheidende Kundenbedürfnisse. Unternehmen, denen es gelingt, genau diese Bedürfnisse zu befriedigen, verschaffen sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Und das ohne neue Produkte, Leistungen oder Technologien entwickeln zu müssen. Bevorzugter Lieferant zu sein bzw. zu werden, das erzeugt für Unternehmen auch in der Krise einen hohen Nutzen. Wenn das Marktvolumen insgesamt kleiner wird, als bevorzugter Lieferant der Umsatz jedoch stabil gehalten werden kann, dann vergrößert sich der eigene Marktanteil. Was nichts anderes heißt als: Der Wert des Unternehmens steigt. Kundenbedürfnisse zu erfüllen bedeutet auch, in der Krise Produkte immer noch sofort bzw. schneller als andere liefern zu können. Viele Unternehmen senken ihre gesamten Warenbestände, damit sie Kosten einsparen. Dann ist das Unternehmen im Vorteil, welches seine Lagerbestände dynamisch anpasst und Produkte, die nach wie vor von Kunden dringend gebraucht werden, immer noch so schnell wie möglich verfügbar machen kann.
Einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung aufbauen
Und damit den Wert des Unternehmens für alle Stakeholder steigern. Die Geschwindigkeit, mit der sich Technologien weiterentwickeln, Kundenbedürfnisse verändern, Produktlebenszyklen verkürzen … hat sich enorm erhöht – der Druck auf die Unternehmen damit ebenfalls. Doch es bleibt viel zu wenig Zeit, sich intensiv mit Zukunftsthemen auseinanderzusetzen, neben dem fordernden Tagesgeschäft und einem Fokus, der häufig nur bis zum nächsten Quartal reichen kann. Dabei sind Innovationen ein wichtiger Hebel, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Nämlich dann, wenn Innovationen Wert erzeugen, indem sie eine bisher elementare Beschränkung für Kunden beseitigen (zitiert nach E. Goldratt, dem Begründer der Theory of Constraints). Und ein maximaler Wettbewerbsvorsprung ist auch in wirtschaftlich turbulenten Zeiten äußerst gefragt. Kann ein Unternehmen während einer Krise plötzlich als Einziges etwas liefern, was so bisher noch niemandem möglich war: Dann wird dieses Produkt/dieser Service/dieses Geschäftsmodell (gerade) auch in der Krise für Kunden besonders wertvoll sein. Denn: Es wird etwas angeboten, was tatsächlich ein vorhandenes Bedürfnis erstmalig und passgenau erfüllt und das auf eine Weise, wie es sonst kein anderer Wettbewerber kann.
(Weiterhin) Die „richtigen“ Aufträge annehmen
Um in einem möglichen Preiskampf nur moderat mitgehen zu müssen. Die Preise, die ein Unternehmen jetzt erlöst, geraten in einer Rezession unter Druck. Wenn es dann zu einem Preiskampf kommt, stehen Unternehmen vor der Entscheidung: Wie weit im Preiskampf mitgehen, damit nicht an Mitbewerber die Aufträge vergeben werden? Bei einem Konjunktureinbruch werden Einkaufsentscheidungen und Auftragsvergaben noch langsamer und vorsichtiger als sonst getroffen. Genau mit derselben Vorsicht und ebenfalls ohne Hektik, denn die Nachfrageseite baut nur künstlichen Zeitdruck auf, sollten Unternehmen über ihre Preise entscheiden, sie müssen keinesfalls hektisch in Vorleistung gehen. Dabei können auch in der Rezession eingehende Aufträge zu Kapazitätsengpässen führen. Weil ein Unternehmen bevorzugter Lieferant ist, schneller und zuverlässiger liefert oder das bessere Produkt bietet. Die Durchsatzrechnung hilft nun dabei zu entscheiden: Welchen Auftrag, zu diesem „günstigeren“ Preis bearbeite ich bevorzugt? Dabei steht nicht die Fragestellung im Vordergrund, OB ein Auftrag überhaupt Durchsatz bringt – dass ein Auftrag überhaupt keinen Durchsatz einbringt, wäre erst das Resultat eines dramatischen Preisverfalls – sondern die „richtigen“ Aufträge anzunehmen (Welcher der Aufträge bringt dem Unternehmen mehr ein) und damit im Preiskampf wie geplant nur moderat mitzugehen.
Auf den Bullwhip-Effekt vorbereitet sein
Und mit neuen Distributionsmodellen eine Win-Win-Situation schaffen. In der Rezession 2008/09 mit einem dramatischen Einbruch des Auftragsvolumens konfrontiert, beabsichtigte ein Elektronikhersteller Mitarbeiter zu entlassen. E. Goldratt riet dem Management ab, denn seine Analyse der Marktsituation ergab ein differenzierteres Bild. Die Produkte des Herstellers wurden an die Endverbraucher auch während der Rezession nach wie vor gut verkauft. Doch die Händler hielten sich aus Angst in der Krise mit weiteren Bestellungen zurück. Goldratt prognostizierte im Januar 2009, dass Unternehmen, so auch der Elektrogerätehersteller, gut daran täten, vorbereitet zu sein, wenn die Lager der Händler leer seien und wieder aufgefüllt werden müssten. Entlassungen wären kontraproduktiv, wenn es doch darum gehen muss, zu einem Zeitpunkt x wieder möglichst viele Aufträge zu bearbeiten und schnell liefern zu können. Die Rezession 2009 zeigte auch, dass diese maximalen Schwankungen – extreme Zurückhaltung bei der Auftragserteilung während der Rezession, extrem hohes Auftragsvolumen zum Ende hin – Handelsunternehmen in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Weil das, was sie wieder gerne verkaufen würden, von ihren Lieferanten nicht bedient werden kann: dort fehlen entweder die „Riesen“-Kapazitäten oder Lieferanten sind in der Rezession wegen Auftragsmangels in die Pleite geschlittert. Wenn Lieferanten ihren Kunden an der Schnittstelle zum Endverbraucher in der Rezession ein neues Geschäftsmodell anbieten, ließe sich eine Win-Win-Situation für beide realisieren: fixe Vereinbarungen zu treffen über die Abnahme einer großen Produktmenge zu rezessionsbedingt angepassten Preisen. Der Lieferant liefert dafür nicht alle Produkte auf einmal, sondern genau in der Geschwindigkeit, wie der Händler sie auch verkaufen kann. Der Händler verbessert dadurch sein eigenes Distributionssystem, muss kein riesiges Lager unterhalten und kann seine Kapitalbindung senken.
Machen sich Unternehmen bewusst, dass in einer Krisensituation der Handlungsdruck nochmals steigt – tun Organisationen gut daran, nicht nur besser als andere darauf vorbereitet zu sein. Sondern es gilt ebenfalls: Um Unternehmen auch in Krisenzeiten sicher zu navigieren, dafür sind nicht in jedem Fall zwingend gänzlich andere Vorgehensweisen als sonst auch gefragt. Vielmehr geht es um Grundlegenderes und das wirkt für Unternehmen in guten wie in schlechten Zeiten: Umdenken und Verändern der Planungs- und Steuerungspraxis in entscheidenden Punkten, Kundenbedürfnisse besser als andere zu erfüllen, Wettbewerbsvorteile aufzubauen oder eben auch viel schneller als andere darauf reagieren zu können, wenn die konjunkturelle Talfahrt wieder endet.
Über den Autor:
Uwe Techt ist Geschäftsführer der VISTEM GmbH & Co. KG und gilt als Vorreiter im deutschsprachigen Raum für die Nutzung der Theory of Constraints (TOC) und des Critical Chain Projektmanagements. Als strategischer Denker für grundlegende Verbesserungen und Durchbruchsinnovationen ist der Topmanagement Coach auch gefragt als Speaker und Autor.