Agiles Projektmanagement – Die Kultur muss passen

Agiles Projektmanagement - Die Kultur muss passen
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Das Agile Projektmanagement kann seine Vorzüge nur entfalten, wenn sich zugleich die nötigen kulturellen Lern- und Veränderungsprozesse im Umfeld der Projekte vollziehen. Diese Erfahrung sammelten in den zurückliegenden Jahren viele Unternehmen.

Wie können wir unsere Innovations- und Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen? Diese Frage beschäftigt aktuell mehr Unternehmen denn je, weil sich corona-bedingt die Rahmenbedingungen ihres Handelns fundamental gewandelt haben.

Beim Beantworten dieser Frage steht meist als Erstes die Projektarbeit auf den Prüfstand, weil heute in den Unternehmen fast alle Problemlösungen in oft bereichs- und teils sogar unternehmensübergreifenden Projekten entwickelt werden. Also fragen sich die Unternehmen: Wie können wir die Projektarbeit so gestalten, dass diese den Anforderungen der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt entspricht?

Das Projektmanagement neu denken

Diskutiert wird besagte Frage meist unter dem Stichwort „Agiles Projektmanagement“. In dieser Diskussion geht es nicht nur darum, wie Unternehmen mit anderen Verfahrensmodellen wie Scrum und Kanban zum Beispiel ihre Produktentwicklung effektiver gestalten können, sondern auch darum: Inwieweit kann mit einem neuen Denkansatz das Projektmanagement insgesamt auf ein neues Fundament gestellt werden?

Dabei deutet das Adjektiv „agil“ bereits an, was das primäre Ziel des Agilen Projektmanagements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Projekte so dynamisch und flexibel wie möglich erfolgen, damit

  • die Innovationskraft und -geschwindigkeit der Unternehmen steigt,
  • die Effizienz und Effektivität ihrer Projekte sich erhöht und so
  • (langfristig) der Erfolg der Unternehmen gesichert wird.

Als mögliche Hebel, um diese Ziele zu erreichen, werden dabei gesehen:

  1. Eine inkrementelle (Projekt-)Planung – das heißt: Statt zu Projektbeginn einen detaillierten Projektplan zu entwerfen, wird ein vorläufiger Plan erstellt, der im Projektverlauf fortgeschrieben und abhängig vom jeweiligen Erkenntnisstand in Iterationen modifiziert wird.
  2. Eine osmatische Kommunikation – das heißt: Die Kommunikation zwischen den an dem Projekt beteiligten Personen („Kunden“ und „Lieferanten“) erfolgt möglichst direkt, ohne Hindernisse wie Bereichsgrenzen.
  3. Sich selbst organisierende Teams – das heißt: Die Projektteams entscheiden selbst, wie sie sich organisieren und ob sie eine Führung benötigen. Sie entscheiden auch selbst, wer wann welche Aufgabe wie erledigt.
  4. Eine enge Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern („Kunden“ und „Lieferanten“) – das heißt: Zwischen ihnen soll ein regelmäßiger, kurzzyklischer Austausch über den Stand des Projekts erfolgen, damit das wechselseitige Verstehen wächst und „Fehler“ früh erkannt werden.
  5. Ein iteratives Vorgehen – das heißt: Die bereits entwickelten Teile der Problemlösung werden so früh wie möglich an die (firmeninternen) Kunden ausgeliefert und erprobt.
  6. Eine Fokussierung auf das übergeordnete Ziel – das heißt unter anderem: Bei der Projektarbeit gibt es keine „heiligen Kühe“. Das Vorgehen und die (Projektmanagement-)Standards werden stets daraufhin überprüft, inwieweit sie das Erreichen des Projektziels fördern.
  7. Eine regelmäßige Reflektion – das heißt: Der Status Quo wird regelmäßig kritisch hinterfragt, um aus den Erfahrungen Rückschlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen und „Fehler“ so früh wie möglich zu erkennen. Das erfordert eine offene, von Vertrauen geprägte Kommunikation.
  8. Ein unterstützendes, motivierendes Umfeld – das heißt: Der Nährboden für eine effektive Teamarbeit ist ein Umfeld, in dem die Projektbeteiligten Vertrauen, Wertschätzung für ihre Arbeit und die nötige Unterstützung erfahren. Einen solchen „Spirit“ gilt es in der Organisation zu fördern.

Die Kultur muss passen

Inzwischen haben viele Unternehmen bereits Erfahrung mit dem Agilen Projektmanagement gesammelt. Diese lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Agile Projektmanagement ist weder per se gut noch schlecht. Es ist häufig ein sinnvolles Vorgehensmodell – zum Beispiel,

  • wenn ein Projekt (oder Unternehmen) in einem sehr diffusen Umfeld angesiedelt ist und die Anforderungen nur schwer erfasst werden können und sich rasch wandeln oder
  • wenn, um die bestmögliche Problemlösung zu entwickeln, Experten unterschiedlicher Provenienz sehr eng miteinander kooperieren müssen.

Keinesfalls sollte das Agile Projektmanagement jedoch als Allheilmittel gesehen werden, denn sein Erfolg hängt unter anderem davon ab:

  • Verfügt das Unternehmen über das nötige Know-how und Personal? Und:
  • Verträgt sich die agile Methodik mit der etablierten Unternehmens- und Führungskultur?

Insbesondere die Bedeutung der letztgenannten Frage wurde den Unternehmen in den vergangenen Jahren zunehmend bewusst. Denn komplexe Change- und Innovationsprojekte finden selten auf der grünen Wiese statt. Sie sind in einen gewachsenen organisationalen Rahmen eingebettet, der durch gewisse Denk- und Verhaltensmuster, also eine bestimmte Kultur geprägt ist. Und mit diesem stehen die Projekte in einem interdependenten Verhältnis. Deshalb können sich agile Ansätze in Unternehmen nur entwickeln, wenn zugleich im Umfeld ein entsprechender Lern- und Veränderungsprozess erfolgt.

Das System Unternehmen entwickeln

Deshalb stellen sich gerade Unternehmen, die schon Erfahrung mit den agilen Ansätzen gesammelt haben, zunehmend die Frage:

  • Genügt es unsere Projektarbeit in Richtung einer höheren Agilität zu trimmen oder
  • muss unsere gesamte Organisation so strukturiert werden, dass sie dynamischer und flexibler im Markt agiert?

Zudem fragen sie sich: Inwieweit lassen sich die Prinzipien des agilen Ansatzes auf das Managen von Unternehmen übertragen? Auf dem Prüfstand stehen in diesem Kontext unter anderem

  • die Strukturen,
  • die Führung und
  • die Kultur

der jeweiligen Organisation.

Die meisten Unternehmen verfügen heute noch über eine Linienorganisation. Das heißt, jeder Mitarbeiter ist genau einer Abteilung zugeordnet, die jeweils einen Leiter hat. Und diese Leiter koordinieren die Arbeit der Abteilungen. Das führt im Unternehmensalltag oft dazu, dass

  • ein Abteilungs- und Bereichsdenken dominiert,
  • viele Schnittstellen existieren,
  • die Informationen zwischen den Bereichen nicht ausreichend fließen und
  • diese nur bedingt miteinander kooperieren.

Abteilungen durch Kreise ersetzen?

Deshalb fragen sich zurzeit viele Unternehmen: Wäre es nicht zielführender zumindest in unseren Kernbereichen, die Arbeit anders zu strukturieren – beispielsweise in Themen bezogenen Kreisen? Das heißt: Die einzelnen Mitarbeiter sind nicht jeweils einer Abteilung zugeordnet. Sie arbeiten stattdessen abhängig von ihrer Funktion in der Organisation in mehreren Kreisen mit,

  • die jeweils ganz konkrete Aufgaben in der Organisation (oder Teilaufgaben in Projekten) haben und
  • in denen sich die Mitarbeiter zusammengefunden haben, die gemeinsam über die hierfür nötige Kompetenz verfügen.

Diese Kreise verfügen über alle Entscheidungsbefugnisse, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen, wobei die relevanten Entscheidungen stets im Team getroffen werden. Hierzu zählt auch die Entscheidung, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung oder Leitung braucht – und wer diese Funktion übernimmt oder ob die Führungsrolle aufgaben-abhängig rolliert.

Zwischen den Kreisen gibt es in der alltäglichen Zusammenarbeit bedarfsabhängig einen regen Informationsaustausch. Dieser ist unter anderem dadurch garantiert, dass

  • die klassischen Abteilungs- und Bereichsgrenzen nicht mehr existieren und
  • es zwischen den Kreisen personelle Überschneidungen gibt – da jeder Mitarbeiter Mitglied mehrerer Kreise ist.

Außerdem entsenden die einzelnen Kreise, wenn eine enge Kooperation und Kommunikation für das Erreichen des übergeordneten Ziels nötig ist, Vertreter in andere Kreise. Das heißt, die Kreise koordinieren ihre Zusammenarbeit selbst und reflektieren diese auch regelmäßig.

Die hierarchischen Strukturen aufbrechen?

Durch eine solche Organisation zumindest der Bereiche, in denen aufgrund der Komplexität der Aufgaben eine sehr dynamische Zusammenarbeit und ein reger Informationsaustausch nötig sind, erhoffen sich die Unternehmen dreierlei:

  1. ein Aufbrechen der klassischen hierarchischen Strukturen in ihrer Organisation, so dass das Abteilungs- und Bereichsdenken überwunden wird und statt der Arbeit der Abteilungen und Bereiche das Gesamtsystem optimiert wird – und zwar mit Blick auf die zu erfüllende Aufgabe und das übergeordnete Ziel.
  2. eine noch höhere Identifikation ihrer Mitarbeiter mit ihren Aufgaben sowie den Zielen, die es bei ihrer Arbeit zu erreichen gilt, da sie in den Kreisen zwar ihren Fähigkeiten angepasste Aufgaben, aber den gleichen Rang und die gleichen Rechte wie alle anderen Mitglieder haben; des Weiteren, weil sie, wenn sie gewisse Dinge zum Erfüllen ihrer Aufgaben als erforderlich erachten, selbst die hierfür nötigen Entscheidungen treffen können – in Absprache mit den anderen Mitgliedern ihres Kreises,
  3. eine effektivere Zusammenarbeit sowie höherwertige Ergebnisse beim Erfüllen komplexer Aufgaben, weil die involvierten Personen und Kreise unmittelbar miteinander kommunizieren, die Informationen zwischen ihnen fließen und sie selbst die für die bestmögliche Lösung erforderlichen Entscheidungen treffen.

Führung neu definieren?

In einem solchen, sich weitgehend selbst steuernden System verändert sich der Charakter von Führung. Die Funktion von Führung verschiebt sich in Richtung eines „Servant Leaders“ und „Change Agents“. Das heißt, ihre Hauptfunktion besteht darin, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise in der Organisation und die einzelnen Mitarbeiter in den Kreisen ihre Funktion erfüllen können. Außerdem zählt es zu ihren Kernaufgaben, den Kreisen die Vision und Strategie zu vermitteln, so dass diese ihre Arbeit hieran orientieren können. Zudem muss Führung den Mitarbeitern und Kreisen die agilen Werte vorleben und die angestrebte Veränderung im Unternehmen vorantreiben.

Inzwischen werden die agilen Prinzipien in einer Reihe von Unternehmen zumindest versuchsweise gelebt. Hierbei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisation setzt außer gewissen Kompetenzen bei den Mitarbeitern eine bestimmte Kultur voraus. Die Mitarbeiter inklusive Führungskräfte sollten zum Beispiel über eine hohe Veränderungsbereitschaft verfügen und mit Unsicherheit umgehen können; außerdem muss ihre Teamfähigkeit sehr ausgeprägt sein. Wichtig ist zudem aufgrund der flachen Hierarchie, dass für die Mitarbeiter Karriere primär persönliche Entwicklung und (Mit-)Verantwortung für bedeutsame Aufgaben bedeutet und sich nicht an Titeln festmacht. Außerdem erfordert die agile Transformation eine Unternehmenskultur, die von wechselseitigem Vertrauen geprägt ist und den Kreisen und Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zugesteht, um die eigene Arbeit selbst zu organisieren.

Eine Voraussetzung für künftige Spitzenleistungen

Ein solches Mindset bei den Mitarbeitern und eine solche Kultur in der Organisation entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Sie sind das Ergebnis einer längerfristigen Kulturarbeit beziehungsweise Unternehmensentwicklung, die von dem Credo getragen wird: Wir wollen und müssen dieses Ziel erreichen, damit wir auch künftig zu den Top-Performern in unserem Markt zählen. Sofern ein Unternehmen über die hierfür nötige Ausdauer verfügt, lohnt sich ein solches Engagement jedoch – unter anderem, weil dann in der Organisation der Innovations- und Unternehmergeist entsteht, der zu Spitzenleistungen führt.

Über die Autorin:

von Bergen, KatjaKatja von Bergen arbeitet als Change- und Managementberater für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (K&P), Bruchsal. Sie ist Lead-Trainerin der von K&P angebotenen Ausbildung Online-Weiterbildung zum „Agile Coach & Transformation Consultant“.

 
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