
Im (Online-)Marketing-Bereich wird oft ein für Laien unverständliches Kauderwelsch gesprochen – teilweise um Expertise vorzutäuschen, teilweise um zu kaschieren, dass sich auch die sogenannten Experten bei ihrem Tun nur auf Annahmen stützen.
Vor einigen Tagen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, mit dem Marketingleiter eines großen Dienstleistungsunternehmens zu telefonieren, der beim Googeln auf unsere Webseite gestoßen war. Nach dem Gespräch klingelten mir die Ohren. Denn die Aussagen des Marketingleiters waren so gespickt mit „Anglizismen“ und „Buzz-Words“ aus dem (Online-)Marketing-Bereich, dass ich Mühe hatte zu verstehen:
- Was will der Mann eigentlich? Und:
- Wo drückt sein Unternehmen denn nun der Schuh?
Lieber Marketingexperte, ich verstehe dich nicht!
Das begann mit seiner Aussage zur Gesprächseröffnung, sein Unternehmen führe gerade ein „Revue“ durch, wie es durch ein Optimieren seiner „Targeting-Strategy“ den „Impact“ seiner „Marketing-Activities“ erhöhen könne. Diese Aussage musste ich für mich erst mal gedanklich übersetzen, und danach fragte ich mich: „Warum sagt der Mann nicht einfach, wir untersuchen gerade, wie wir die Wirkung unserer Marketingmaßnahmen bei unseren Kernzielgruppen erhöhen können.“
Lieber Experte, verstehst du selbst, was du sprichst?
Doch dies war nur der Auftakt. Je tiefer wir in die Materie einstiegen, umso mehr Anglizismen und Fach-Termini wie „Brand-Awareness“, „Lead-Generierung“, „Sales-Funnel“,„Pillar Page“ flogen mir um die Ohren – so viele, dass ich mich zum Teil fragte: Versteht der Mann eigentlich selbst noch, was er sagt? Ich erahnte es zum Teil nur. Deshalb googelte ich nach dem Telefonat erst mal den Begriff „Linkjuice“, denn ich war unsicher, was er damit meinte, als wir über das Thema Linkaufbau auf Webseiten sprachen.
Warum ich dies schreibe? Aus einem einfachen Grund: Vielen Selbstständigen geht es nach Gesprächen mit sogenannten Online-Marketing-Experten oft ähnlich wie mir nach dem Telefonat mit dem Marketingleiter:
- Ihnen klingeln die Ohren und
- sie haben das Gefühl „Anscheinend lebe ich im Marketingbereich hinter dem Mond, weil ich das, was mir diese Experten sagen, nicht oder nur teilweise verstehe.“
Entsprechend verunsichert sind sie und befürchten: Ich habe den Zug der Zeit verschlafen.
Lieber Experte, wie handwerklich fit bist du?
Dabei haben diese Experten vom praktischen „Doing“, so mein Eindruck, oft wenig Ahnung und präsentieren Sachverhalte als Fakten, die nur Annahmen bzw. Vermutungen sind.
So zeigte es sich zum Beispiel in meinem Gespräch mit dem Marketingleiter:
- Er kennt den Unterschied zwischen einer Pressemitteilung und einem (Fach-)Artikel nicht.
- Er geht davon aus, das Veröffentlichen von Artikeln in Print- und Onlinemedien funktioniere ähnlich wie das Anzeigen-schalten, dabei besteht hier ein himmelweiter Unterschied.
- Er ist felsenfest davon überzeugt, dass er weiß, was man tun muss, damit eine Webseite im Netz gut gefunden wird und man in den Social-Media viele aktive Follower hat. Dabei haben Google & Co ihre Algorithmen nie offengelegt, weshalb alle Credos in diesem Bereich entweder mehr oder minder gut begründete Annahmen oder subjektive Erfahrungswerte sind.
- Er hegt zumindest unbewusst den Irrglauben, der B2B-Vertrieb funktioniere wie der Verkauf im B2C-Bereich und man könne Industriegüter wie Klamotten und Schminke vermarkten, weshalb er total auf die Social Media „abfährt“, denen – so sein Credo – „die Zukunft gehört“.
- ……
Lieber Experte, inwieweit versteht du mein Business?
Ähnlich verhält es sich oft bei Online-Marketing-Experten: zumindest vom B2B-Vertrieb haben sie meist wenig Ahnung. Und sie mögen zwar Experten in ihrer Spezial-Disziplin sein, doch ihnen ist zumeist nicht bewusst, dass zum Beispiel
- der primär von Kleinunternehmen geprägte Beratungsmarkt ganz anders als der Automarkt tickt, in dem es nur ein dutzend Hersteller gibt, und
- die meisten Leistungen im B2B-Bereich sich nicht wie Schuhe bei Zalando verkaufen lassen.
Deshalb mögen viele ihrer Problemlösungen zwar für Konzerne, Markenartikler und Webshops geeignet sein, für im B2B-Bereich tätige Klein- und Mittel-Unternehmen passen sie in der Regel aber nicht.
Lieber Experte, schwätze so, dass ich dich verstehe!
Deshalb meine Empfehlung an Sie als Selbstständiger bzw. Unternehmer. Lassen Sie sich von den vielen Anglizismen und Kompetenz vortäuschenden Fachbegriffen, die Marketingberater oft gebrauchen, nicht verunsichern, denn: Was zeichnet einen guten Berater aus? Unter anderem, dass er komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich erklären kann, denn dies ist – so meine Überzeugung – ein Zeichen dafür, dass er die Dinge verstanden, durchlebt und verarbeitet hat.
Über den Autor:
Bernhard Kuntz ist der PRofilBerater GmbH, Darmstadt, die Bildungs- und Beratungsanbieter beim (Online-)Marketing unterstützt. Er ist Autor u.a. der Bücher „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ und „Warum kennt den jeder?“.