Lästig, störend, belastend: Tinnitus. Circa drei Millionen Menschen sind in Deutschland von einem chronischen Tinnitus betroffen. Die Aussichten auf Besserung werden oft fälschlicherweise als gering eingeschätzt. Kürzlich veröffentlichte Studienergebnisse belegen, dass eine Hörtherapie die Tinnitus-Belastung signifikant und dauerhaft senken kann. Mit geringem zeitlichem Aufwand.
Das zeigen die Ergebnisse einer Tinnitus-Studie des Terzo-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Tinnitus-Zentrum der Charité Berlin. Zum ersten Mal wurden auch Zusammenhänge zwischen Tinnitus-Belastung, Hörverlust, Sprachverstehen im Störlärm und kognitiver Funktionen aufgezeigt. Die gute Nachricht und für viele Betroffene eine neue Erkenntnis: Tinnitus kann behandelt werden! Die Terzo-Gehörtherapie ist dafür bereits seit 2013 integrierter Bestandteil im Tinnitus-Zentrum des Universitätsklinikums Jena.1 Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass die angewandte Terzo-Gehörtherapie beiträgt, Tinnitus-Betroffenen zu helfen und die Belastung spürbar zu reduzieren: 92 Prozent aller Behandelten bewerteten die Therapie als hilfreich. Die jüngst veröffentlichten Studien-Ergebnisse untermauern diese Erfahrungswerte.
Wenn erhöhte Nervenaktivität Geräusche macht
Tinnitus-typische Ohrgeräusche – z. B. Klingeln, Rauschen, Brummen, Pfeifen o. ä. – sind meist auf eine beeinträchtigte (oft unbemerkte) Hörminderung zurückzuführen. Das Gehirn versucht also lediglich, einen reduzierten akustischen Input, wie er durch einen Hörverlust entsteht, auszugleichen und regelt dazu die Nervenaktivität in der zentralen Hörbahn nach oben. Dieses Mehr kann dazu führen, dass Betroffene ein störendes Ohrgeräusch wahrnehmen. Ein nur zeitweiliges Rauschen mag hingegen auch durch verschiedene Krankheiten (z. B. Erkältung) sowie seelische und körperliche Belastungen entstehen.
Studienteilnehmer von 18 bis 75 Jahren
Die Studie untersuchte explizit die Wirksamkeit der Terzo-Gehörtherapie bei Tinnitus-Belastung, auf das Sprachverstehen und auf kognitive Fähigkeiten. Bei der Terzo-Gehörtherapie handelt es sich immer um eine Kombination aus einer speziellen Hörgeräteprogrammierung und dem Terzo-Gehörtraining. Die Studie lief über einen Zeitraum von zwei Jahren mit 177 PatientenA im Alter zwischen 18 und 75 Jahren am Tinnitus-Zentrum der Charité Berlin. Die Studienteilnehmer durchliefen eine Aufklärung über mögliche Zusammenhänge von Hörverlust und Tinnitus-Entstehung sowie über die Wirkweise von Hörgeräten und Hörtraining, die Versorgung mit speziell programmierten Hörgeräten sowie das auf zwei Wochen ausgelegte Terzo-Gehörtraining für zu Hause. Der Studienablauf entsprach damit der täglichen Routine in Terzo-Zentren (bundesweit 143 Standorte inkl. drei speziell auf Tinnitus-Betroffene ausgerichtete Tinnitus-Care-Geschäfte). Zur Datenerhebung verwendeten die Forscher etablierte Testungen und Fragebögen, um die Fortschritte und Ergebnisse zu verschiedenen Zeitpunkten der Studie festzuhalten.
Erkannt & bewiesen 1: Tinnitus schränkt kognitive Leistung ein!
Dass Tinnitus stört oder belastet, erfahren Betroffene am eigenen Leib. Die neuen Erkenntnisse aus der Studie gehen einen bedeutenden Schritt weiter: Er schränkt ein! Konkret untersucht wurde der Einfluss auf verschiedene geistige Fähigkeiten. Dabei zeigt sich ein negativer Einfluss der erlebten Tinnitus-Belastung sowohl auf den Abruf des eigenen Wissensschatzes als auch auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit geistiger Fähigkeiten – ein Umstand, der sich nicht alleine auf depressive Symptome zurückführen lässt. Die neuen Studienergebnisse weisen damit erstmalig einen bedeutenden Anteil von Tinnitus-Belastung an verminderten kognitiven Leistungen nach.
(Originalpublikation: siehe 2)
Erkannt & bewiesen 2: Tinnitus-Belastung kann in nur 3 Wochen bedeutend gesenkt werden!
Wie vermutet und über viele Jahre hinweg praktisch beobachtet, belegen die Studienergebnisse, dass die Terzo-Gehörtherapie zu einer nachhaltigen Senkung der Tinnitus-Belastung innerhalb von drei Wochen führt. Auch bei Tinnitus-Betroffenen, die vor Studienbeginn bereits mit Hörgeräten versorgt waren, half die Terzo-Gehörtherapie, die Belastung binnen drei Wochen weiter zu senken. Unabhängig von Alter und Geschlecht konnte die Studie dies bei tonalem als auch rauschendem Tinnitus belegen. Selbst Langzeitgeplagte (Tinnitus-Belastung seit fünf oder mehr Jahren) profitierten. Die Verbesserungen blieben dauerhaft stabil. Aus den Ergebnissen darf laut Studienverfassern jedoch keine Verallgemeinerung folgen. Keinesfalls soll der Trugschluss entstehen, die gewonnenen Erkenntnisse auf Hörgeräteversorgung und Hörtraining im Allgemeinen zu übertragen. Hörgeräte allein senken die Tinnitus-Belastung nicht unbedingt – das „Wie“ der Hörgeräteversorgung ist entscheidend!
(Originalpublikation: siehe 3)
Erkannt & bewiesen 3: Wirkung auf das beeinträchtige Sprachverstehen
Selbst mit einer unauffälligen Hörkurve können Tinnitus-Betroffene Schwierigkeiten beim Sprachverstehen im Störgeräusch haben. Das liegt daran, dass die natürlichen Hörfilter im Gehirn auf Grund einer Hörminderung nicht mehr richtig funktionieren und das Ausfiltern von Hintergrundgeräuschen dadurch schwierig wird. Das zeigte sich auch in vorliegender Studie. In Ruhe wurde ein Sprachverstehen von 93 % korrekt verstandener Worte ermittelt. Je lauter das Hintergrundgeräusch der Sprachmessung wurde, umso weniger Worte wurden korrekt verstanden. Bei leichtem Hintergrundgeräusch (55 dB) waren es durchschnittlich 61 % korrekt verstandene Worte, bei lautem Hintergrundgeräusch (65 dB = TV in Zimmerlautstärke) nur noch 23 %. Die Krux: Das Sprachverstehen im Störgeräusch wird bei Tinnitus-Patienten häufig gar nicht ermittelt, obwohl hier erst die „Hörproblematik“ offensichtlich wird. Eine Hörfiltermessung, welche das Spracherstehen bei unterschiedlich lauten Hintergrundgeräuschpegeln erfasst, sollte deshalb unbedingt zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Hör- und Verstehstatus dazugehören. In vorliegender Studie ermittelten die Wissenschaftler daher die Effektivität einer Hörgeräteprogrammierung für das Sprachverstehen – in dieser Art ist das bisher einzigartig. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ergebnisse Vorteile der Terzo-spezifischen Hörgeräteanpassung auf das Sprachverstehen Tinnitus-Betroffener belegen: Das Sprachverstehen in Ruhe verbesserte sich gleich nach der Hörgeräteanpassung signifikant. In leichtem Störgeräusch (55dB) konnten ebenso bedeutende Veränderungen beobachtet werden. Und: Die erzielten Verbesserungen des Sprachverstehens blieben nachhaltig stabil.
(Originalpublikation: siehe 4)
Bisher einzigartig: Wirksamkeit am Patientennutzen orientiert untersucht
Mit Veröffentlichung der Studie gelang eine kleine Sensation: Eine Hörtherapie, die von einer unabhängigen wissenschaftlichen/klinischen Einrichtung bei den Hauptschwierigkeiten schwerhöriger Menschen – das Sprachverstehen sowie unter Umständen die Tinnitus-Belastung – auf Wirksamkeit untersucht wurde, ist bisher einzigartig. Die Terzo-Gehörtherapie kann sowohl die Tinnitus-Belastung als auch das Sprachverstehen bei Patienten mit chronischem Tinnitus verbessern.B Für Betroffene ergibt sich eine wissenschaftlich belegte Behandlungsmöglichkeit – zurück zu mehr Normalität und weniger Belastung.
Hintergrund: Wirkweise der Terzo-Gehörtherapie bei Tinnitus
Das Terzo-Gehörtraining als essentielle Komponente der Terzo-Gehörtherapie nimmt Einfluss auf die Hörverarbeitung, den Entstehungsort des Tinnitus. Mit dem Ziel, die natürlichen Hörfilter zu reaktivieren und zu stärken, wird systematisch das Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung und somit das fokussierte Hin- aber auch Weghören trainiert. Bereits seit 2013 ist die Terzo-Gehörtherapie integrierter Bestandteil im Tinnitus-Zentrum des Universitätsklinikums Jena. Sie hilft demnach zielgenau auf den entscheidenden zwei Ebenen: zum einen durch die Hörgerätetechnik, die auch kleinste Hörverluste ausgleicht – selbst ein noch unbemerkter Hörverlust kann die Ursache für ein Ohrgeräusch sein. Zum anderen durch die Stimulation der Hörverarbeitung, die dazu führt, dass die übermäßige Aktivität des Gehirns reguliert und die Hörfilter-Funktion reaktiviert wird. Die Nervenzellen der Hörverarbeitung werden wieder verstärkt mit akustischem Input versorgt: Die Fehlfunktion der Nervenzellen, Eigengeräusche zu erzeugen, kann dadurch weitestgehend unterdrückt werden.
Das Terzo-Konzept selbst findet bereits seit 16 Jahren praktische Anwendung.
Quellen (zitierte Studienergebnisse):
- Ivansic D, Dobel C, Volk GF, Reinhardt D, Müller B, Smolenski UC, Guntinas-Lichius O. Results of an Interdisciplinary Day Care Approach for Chronic Tinnitus Treatment: A Prospective Study Introducing the Jena Interdisciplinary Treatment for Tinnitus. Front Aging Neurosci. 2017 Jun 16;9:192. doi: 10.3389/fnagi.2017.00192.
- Neff P, Simões J, Psatha S, Nyamaa A, Boecking B, Rausch L, Dettling-Papargyris J, Funk C, Brueggemann P, Mazurek B. The impact of tinnitus distress on cognition. Sci Rep. 2021 Jan 26;11(1):2243. doi: 10.1038/s41598-021-81728-0.
- Boecking B, Rausch L, Psatha S, Nyamaa A, Dettling-Papargyris J, Funk C, Brueggemann P, Rose M, Mazurek B. Hearing Therapy Improves Tinnitus-Related Distress in Mildly Distressed Patients with Chronic Tinnitus and Mild-to-Moderate Hearing Loss: A Randomized-Controlled Cross-Over Design. J Clin Med. 2022 Mar 22;11(7):1764. doi: 10.3390/jcm11071764.
- Boecking B, Rausch L, Psatha S, Nyamaa A, Dettling-Papargyris J, Funk C, Oppel K, Brueggemann P, Rose M, Mazurek B. DSLchild-Algorithm-Based Hearing Aid Fitting Can Improve Speech Comprehension in Mildly Distressed Patients with Chronic Tinnitus and Mild-to-Moderate Hearing Loss. J Clin Med. 2022 Sep 5;11(17):5244. doi: 10.3390/jcm11175244.
Über die Autorin:
Dr. Juliane Dettling-Papargyris ist promovierte Biologin und wissenschaftliche Leiterin des terzo-Instituts für angewandte Gehörforschung. Seit über 10 Jahren hat sie sich den Themen Hörforschung und Hörgesundheit in all ihren Facetten verschrieben. Als Doktorandin und Mitarbeiterin des Hörforschungszentrums Tübingen legte sie den Grundstein für ihre fachliche Expertise. Ihr Credo: Hörgesundheit ist gleich (Ge-)Hirngesundheit.
A Probanden mit leichter Tinnitus-Belastung und leicht- oder mittelgradigem Hörverlust
B Die Studie weist konkret nach, dass die Terzo-Gehörtherapie leichte Tinnitus-Belastung aber auch teilweise das Sprachverstehen bei Patienten mit chronischem Tinnitus und leicht- oder mittelgradigem Hörverlust verbessern kann.