

Der Sartorius-Konzern hat für die Vertriebsmitarbeiter seiner Sparte Bioprocess Solutions ein Blended Learning Programm entwickelt und weltweit realisiert. Mit ihm wurde das Fundament für eine neue Lernkultur im Vertrieb gelegt. Deshalb wurde das Projekt mit dem BDVT-Trainingspreis ausgezeichnet.
Anfang 2020 entschied die Sartorius AG, Göttingen, die weltweit mehr als 14.000 Mitarbeiter beschäftigt, für ihre Vertriebsmitarbeiter der Sparte Bioprocess Solutions ein neues Trainingsprogramm zu entwickeln. Diesem sollte länder- und kulturübergreifend ein einheitlicher Vertriebsansatz zugrunde liegen. Mit dem Vorhaben waren unter anderem folgende Ziele verbunden:
- die Kundenorientierung und -zentrierung im Vertrieb erhöhen und
- aufgrund des Top-Services sowie des Mehrwerts, den die Sartorius-Produkte den Kunden bieten, höhere Gewinnmargen erzielen.
Ursprünglich als hybrides Trainingsprogramm geplant
Mit der Aufgabe, ein solches Trainingsprogramm zu planen, wurde eine Projektgruppe beauftragt. Ihr gehörten außer dem Head of Sales & Service der Sparte Bioprocess Solutions Bettina Berendsen mehrere obere Führungskräfte des Kernteams als Steering Committee an. Außerdem war das Machwürth Team International (MTI), Visselhövede, in der Projektgruppe vertreten, das den Konzern beim Planen und Realisieren des Programms unterstützen sollte.
Für dieses Trainings- und Beratungsunternehmen als Unterstützer entschied sich Sartorius, weil es
- ebenfalls international tätig ist und
- Erfahrung im Konzipieren solcher Programme und deren weltweiten Roll-out hat – auch mit Hilfe der modernen Informations- und Kommunikationstechnik.
Dies war, wie Ines Rannenberg, die Programm-Managerin für das „Sales Enablement Program“ betont, Sartorius wichtig, weil das Entwicklungsprogramm hybrid geplant war. In ihm sollten also das Lernen in Präsenzveranstaltungen und das Online-Lernen miteinander verknüpft sein – „auch um länderübergreifend die Kommunikation und den Erfahrungsaustausch zwischen den Sales-Mitarbeitern zu stärken“.
Den Bedarf der Teilnehmer mit System ermittelt
Um den Bedarf der Zielgruppe zu ermitteln, wurde unter anderem ein Benchmarking Assessment mit 670 Sales-Mitarbeitern durchgeführt. Wichtige Erkenntnisse waren: Das Sartorius-Vertriebsteam ist zwar stark im Erkennen von Vertriebschancen, Entwicklungspotenzial besteht aber noch beim
- Aufzeigen des Mehrwerts der Sartorius-Produkte und Problemlösungen für die Zielkunden,
- effizienten und effektiven Bearbeiten der jeweiligen Business Opportunities und
- Führen der Kunden zur Kaufentscheidung.
Zudem zeigte sich laut Rannenberg,
- es gibt „kein einheitliches Verständnis über die wichtigsten Schritte im Verkaufszyklus“ und
- die Spezialisten für die verschiedenen Applikationen und Produktfamilien verstehen sich nur bedingt als Teil des Vertriebsteams. Deshalb fühlen sie sich nicht ausreichend für den Vertriebserfolg mitverantwortlich.
Bezogen auf die Sales Professionals zeigte sich laut Hans-Peter Machwürth, dem geschäftsführenden Gesellschafter von MTI zudem: „Ihr Blick ist noch zu stark auf die Benefits der Sartorius-Produkte.“ Deshalb präsentieren sie im Kundenkontakt die Sartorius-Produkte und -Problemlösungen oft nicht so, dass „die Zielkunden deren Mehrwert bildhaft vor Augen haben – auch verglichen mit den Konkurrenzprodukten“.
Ein ambitioniertes Trainingsprogramm entwickelt
Aufgrund der Bedarfsanalyse wurden unter anderem folgende Ziele für das Trainingsprogramm definiert:
- weltweite Harmonisierung des Vertriebsansatzes,
- Sensibilisierung der Teilnehmer dafür, dass das gesamte Team für den Verkaufserfolg verantwortlich ist,
- höhere Effektivität der Kundengespräche dank einer verstärkten Teamarbeit,
- Intensivierung des funktions-, bereichs- und länderübergreifendes Lernens,
- Entwickeln von mehrwertorientierten Verkaufsstories, die sich am Bedarf usw. der jeweiligen Kunden orientieren,
- Einüben eines Kommunikationsstils, der den Mehrwert der Sartorius-Produkte für die Kunden aufzeigt.
Hierauf aufbauend entwickelte die Projektgruppe das Grobkonzept für das Sales Enablement Program. Diesem erteilte das Steering Committee seine Zustimmung. Danach sollte die Ausarbeitung erfolgen. Doch wegen der ab Frühjahr 2020 geltenden Reise- und Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie konnte das Trainingsprogramm in der angedachten Form nicht realisiert werden, wie Susi Graham und Gilles de Groot, die beiden Programmverantwortlichen bei MTI, berichten.
Corona zwingt die Programmplaner zum Umdenken
Deshalb wurde entschieden, das ursprünglich als hybrides Format mit Face-to-Face-Anteilen geplante Sales Enablement Program als Blended-Learning-Trainingsprogramm zu realisieren, das außer gemeinsamen Web-Sessions auch eigenverantwortliche Selbstlernphasen umfasst.
Hierin sah die Projektgruppe folgende Vorteile: Ein Blended Learning Format ermöglicht es auch,
- zeitnah auf die corona-bedingt neuen Anforderungen an die Vertriebsorganisation und -mitarbeiter zu reagieren sowie
- länder- und kulturübergreifende Lerngruppen zu bilden und so den globalen Erfahrungsaustausch zu forcieren.
Zudem kann ein nachhaltiges Lernen gefördert werden, „indem bedarfsorientiert immer wieder Lernimpulse in die laufenden Salesprozesse eingestreut werden“. Insofern stellt ein solches Design laut Rannenberg „auch den Einstieg in eine neue Lernkultur bei Sartorius dar“.
Nachdem das Steering Committee diese Grundsatzentscheidungen abgesegnet hatte, begann die Ausarbeitung des Programms. Hierbei wurden drei Teilnehmergruppen unterschieden:
- Sales Leader (die Führungskräfte der Sparte, Regionalmanager usw.),
- Applikations- und Produktspezialisten,
- Sales Professionals.
Als technische Hilfsmittel wurden das Learning-Management-System ELIAS und MS Teams genutzt; außerdem digitale Tools wie das Conceptboard und mehrere MTI-eigene Tools zur digitalen Moderation und zum Feedbackgeben.
Die Facilitator und Lernbegleiter qualifiziert
Parallel zur Ausarbeitung des Trainingsprogramms wurden außer den „Facilitoren“ genannten MTI-Projektmitarbeitern auch die sogenannten „Program Champions“, also erfahrene Konzern-Vertriebsmitarbeiter, die in dem Programm als Lernbegleiter und -unterstützer ihrer Kollegen fungieren sollten, auf ihre Aufgabe vorbereitet. Dies war wichtig, weil das Online-Vermitteln von Lerninhalten und Online-Feedbackgeben alle Projektbeteiligten vor teils neue Herausforderungen stellte. Zudem lauteten die Anforderungen von Sartorius an das Gesamtprogramm:
- Das Lernen soll anhand realer Aufgaben und Praxisfälle im Vertriebsalltag erfolgen.
- Das Gelernte soll unmittelbar im Führungs- und Vertriebsprozess sowie Mitarbeiter- und Kundenkontakt angewendet werden und hierüber soll ein Erfahrungsaustausch erfolgen.
- Das selbstregulierte Lernen der Teilnehmer soll stimuliert werden, um ihre Eigenverantwortlichkeit zu stärken.
Im Februar 2021 begann die erste Roll-out-Phase des 13-wöchigen Trainingsprogramms. In ihr wurde das Trainingskonzept mit mehreren Pilotgruppen in der Praxis erprobt. Dabei zeigte sich: Das modifizierte Programm funktioniert. Deshalb startete im September 2021 die zweite Roll-out-Phase, die das gesamte Vertriebsteam der Sparte umfasste.
Lernen anhand realer Aufgaben im Vertriebsalltag
Die Arbeitsweise in dem Programm sei exemplarisch am Beispiel der 11. bis 13. Trainingswoche illustriert, in der die Teilnehmer das zuvor erworbene Wissen zusammenführen sollten. Hierfür wurden sie in Lernteams bestehend aus einem Verkäufer, einem technischen Spezialisten und einer Führungskraft eingeteilt. Diese erhielten den Auftrag, in mehreren Prozessschritten eine Verkaufspräsentation für einen realen Kunden vorzubereiten und zwar basierend auf einer „Value Proposition“, also einem Wertversprechen, das sie vorab bezogen auf den jeweiligen Kunden formuliert hatten.
Dies ist laut Susi Graham eine herausfordernde Aufgabe, „weil die gegebenen Versprechen auch eingelöst werden müssen“. Deshalb setzt das Formulieren einer „tragfähigen Value Proposition“ voraus, dass man den realen Bedarf des Kunden unter anderem aufgrund seiner Marktsituation, (Entwicklungs-)Ziele usw. kennt. Diesen zu ermitteln, ist insbesondere in einer Marktsituation, in der man mit den Kunden weitgehend nur per Telefon und online kommunizieren kann, nicht leicht.
Hinzu kommen zwei weitere erschwerende Faktoren. Erstens: In den Kaufentscheidungsprozess für die Sartorius-Produkte sind auf Kundenseite in der Regel mehrere Personen und Bereiche involviert, die teils unterschiedliche Erwartungen an die „Problemlösung“ haben. Also setzt das Entwickeln einer tragfähigen Value Proposition auch voraus, im Dialog mit dem Kunden zu ermitteln,
- welche Personen am Buying-Process mitwirken und
- was deren Nutzenerwartungen an die Problemlösung sowie deren Anbieter sind.
Der zweite erschwerende Faktor ist: Die Nutzenerwartung der Kunden bzw. die Bedeutung, die sie den für ihre Kaufentscheidung relevanten Faktoren beimessen, wandelt sich. So gewann zum Beispiel in der Pandemie-Zeit für viele Sartorius-Kunden der Faktor Lieferfähigkeit und -sicherheit an Bedeutung. Deshalb müssen Verkäufer regelmäßig prüfen, ob die formulierte Value Proposition noch dem Bedarf des Kunden entspricht.
Obere Führungskräfte schlüpfen in die Kundenrolle
Alle sich hieraus ergebenden Teilaufgaben erledigten die Lerngruppen bezogen auf den von ihnen gewählten Zielkunden bis zur 11. und 12. Trainingswoche. Dabei erhielten sie in Websessions immer wieder Feedback von den MTI-Facilitoren. Zudem stellten diese ihnen bedarfsorientiert Learning-Nuggets wie Grafiken, Checklisten, Erklärvideos usw. zur Verfügung.
In der 13. Trainingswoche erstellten die Lernteams dann auf ihren Vorarbeiten aufbauend eine Online-Verkaufspräsentation. Diese präsentierten sie unter anderem Mitgliedern der obersten Führungsebene. Diese schlüpften sozusagen in die Rolle der Kunden, die auch kritische Rückfragen stellen und Einwände formulieren. Damit endete im Dezember 2021 die zweite Roll-Out-Phase des Sales Enablement Programs.
Den Verantwortlichen bei Sartorius war klar: Auf die intensive Trainingsphase sollte ein Follow-up folgen, damit sich das erworbene Wissen in den Köpfen der Teilnehmer verankert und bei ihnen die nötige Verhaltenssicherheit entsteht. Deshalb arbeiten die Programm-Teilnehmer seitdem in bedarfs- und funktionsabhängig zusammengestellten Lerngruppen an von ihnen selbst definierten Themen und tauschen sich online über ihre Erfahrungen aus. Zudem finden regelmäßig sogenannte Value Talks statt. Bei diesen Online-Meetings erörtern die Sales Professionals unter anderem Best Practices. Auch Mitglieder des Kernteams sowie Program Champions nehmen an diesen Talkrunden teil, um
- den funktions-, bereichs- und hierarchieübergreifenden Wissens- und Erfahrungsaustausch zu stimulieren und
- wechselseitig voneinander zu lernen.
Zudem erhalten die Teilnehmer zwischenzeitlich als Lernimpulse regelmäßig eNuggets zu vertriebsrelevanten Themen.
Roll-out des Programms auf andere Bereiche
Der Erfolg des Programms wird prozessbegleitend gemessen, unter anderem, indem die Erfolgsrate der im Training erarbeiteten Value-Based-Selling-Konzepte evaluiert und kommuniziert wird. Zudem werden Sales-Performance-Key-Indikatoren wie die Abschlussrate, Umsatzentwicklung und Kundenzufriedenheit erfasst. Ein weiteres Steuerungsinstrument sind die Feedbacks der Teilnehmer in bzw. nach den Websessions.
Zusammenfassend kann man sagen: Das Sales Enablement Program ist ein voller Erfolg. Es ist laut Ines Rannenberg eines der erfolgreichsten Trainingsprogramme und globalen Projekte, die die Sparte Bioprocess Solutions bisher realisierte. Deshalb entschied der Sartorius-Vorstand bereits im Sommer 2021, das Programm 2022 auch in der Sparte Lab Products & Services durchzuführen. Das ist inzwischen der Fall.
Zentrale Erfolgsfaktoren des Programms waren und sind laut Hans-Peter Machwürth
- der „co-kreative Konzeptionsprozess“ mit dem Sartorius Core Team und Mitgliedern des globalen Senior-Managements,
- das Einbinden firmeninterner Experten als Unterstützer der Teilnehmer in das Programm und deren systematische Vorbereitung auf ihre Aufgabe,
- das Einbinden der Führungskräfte in den Praxistransfer des Gelernten und
- das Konzept des sozialen von- und miteinander Lernens, bei dem Wissen weltweit geteilt und internationale Netzwerke aufgebaut werden.
BDVT prämiert das Sales Enablement Program
Als weitere Erfolgsfaktoren nennt Ines Rannenberg, dass sich die Teilnehmer in dem Programm auf „eine lange Lernreise“ begeben, bei der jedoch aufgrund der „aktiven Gestaltung“ – mittels Rollenspielen, Gruppenarbeiten, kollegialem Feedback usw. – ihre Lernmotivation stets hoch bleibt. Zudem ist durch die Arbeit an konkreten Praxisfällen stets die Relevanz des Gelernten klar. All diese Faktoren trugen dazu bei, dass mit dem Programm auch das Fundament für eine neue Lernkultur in der Sparte Bioprocess Solutions geschaffen wurde.
Das sah auch die Jury des Berufsverbands für Training, Beratung und Coaching (BDVT) bei der diesjährigen Verleihung des renommierten Europäischen Trainingspreises Ende Mai in Berlin so. Deshalb zeichnete sie das Projekt mit dem Europäischen Trainingspreis in Silber in der Kategorie Hybrid/Blended Learning aus. Expressis verbis lobte sie zudem „den Aufbau der 13-wöchigen Wertereise“, der „ein synchrones und asynchrones Lernen auf Augenhöhe ermöglicht“.
Ramon Lacher